18./19. Jahrhundert - Sennen, Heubauern und Grempler
Innerrhoder Landwirtschaft bis zur Einrichtung von Milchsammelstellen (1933)
Kein anderer Schweizer Kanton ist so stark landwirtschaftlich geprägt wie Appenzell Innerrhoden. 1970 machten die Erwerbstätigen des 1. Sektors fast einen Drittel aller Beschäftigten aus, im Jahr 2006 waren es immer noch 16%. Bis in die frühe Neuzeit blieb die Landwirtschaft auf Selbstversorgung ausgerichtet. Vorherrschend waren mischwirtschaftliche Produktionsformen, bei denen Garten- und Ackerbau (v.a. Gerste und Hafer) eine wesentliche Rolle spielten. Marktwirtschaftlich orientierter Viehzucht und Milchwirtschaft kam jedoch wachsende Bedeutung zu. Wie in anderen voralpinen Gebieten hatte die Graswirtschaft den Ackerbau bis um 1700 weitgehend verdrängt. Positive Folge waren verbesserte Verdienstmöglichkeiten. Andererseits ergab sich eine fatale Abhängigkeit von Getreideimporten und die Gefahr von Hungersnöten, die 1770/71 und 1816/17 besonders gravierende Auswirkungen zeitigten.
Bis in die dreissiger Jahre des 20. Jahrhunderts verharrte die Innerrhoder Landwirtschaft in einer eigenwilligen Arbeitsteilung zwischen Heubauern und Sennen. Die Boden besitzenden Bauern in tieferen Lagen besassen lediglich Vieh zur Selbstversorgung und produzierten den Sommer über mehr Heu, als sie selber benötigten. Die Sennen dagegen kauften im Tessin, in Tirol, Vorarlberg und Graubünden Vieh ein, verfügten selbst aber über keinen Boden. Den Sommer über bewirtschafteten sie die überwiegend im Privatbesitz befindlichen Alpen (1899 gab es 167 Alpen mit 3'583 ha Fläche) und produzierten dort Butter und Käse. Diese Produkte wurden von Molkereihändlern, sogenannten Gremplern, abgeholt und zur Hauptsache auf den städtischen Märkten der Region (Appenzell, Herisau, St. Gallen, Altstätten) abgesetzt. Den Winter über wohnten die Sennen mit ihren Familien in den Häusern der Talbauern. Deren Heu diente nun dazu, das Vieh der Sennen in der vegetationslosen Jahreszeit durchzufüttern.
Erste Bemühungen, selber eine qualitätvolle Viehzucht zu betreiben, setzten Ende des 19. Jahrhunderts mit der Gründung von Innerrhoder Viehzuchtgenossenschaften ein. Ähnlichen Zielen diente der landwirtschaftliche Verein, der 1883 mit Unterstützung bürgerlicher Kreise ins Leben gerufen wurde. Aus diesem ging 1942 der Bauernverband Appenzell Innerrhoden hervor. Als 1933 die ersten Milchsammelstellen die Tore öffneten, begann ein beschleunigter Wandel. Die Eigenproduktion von Butter und Käse ging stark zurück. Die Alpwirtschaft verlegte sich vermehrt auf die Rindermast, während Milchwirtschaft nun hauptsächlich von Talbauern betrieben wurde. Diese lieferten die Frischmilch in den Sammelstellen ab, von wo der zentrifugierte Rahm in die 1927 gegründete Butterzentrale Gossau geliefert wurde. Die Produktion von Appenzeller Käse übernahmen spezialisierte Talkäsereien in den umliegenden Kantonen. In Appenzell selbst erfolgt nur noch Pflege, Lagerung und Reifungsprozess. Die Vermarktung oblag seit 1942 der in St. Gallen eingerichteten Zentralstelle für Appenzellerkäse.