Fakten zum Verzicht auf das Bauprojekt AVZ+
Die Standeskommission ist nach einer eingehenden Situationsbeurteilung Ende 2020 zum Schluss gekommen, dass der geplante Neubau des Ambulanten Versorgungszentrum Plus (AVZ+) nicht wie vorgesehen realisiert werden kann. Die Vorlage, über die am 9. Mai 2021 abgestimmt wird, hat in den vergangenen Tagen zu diversen Fragen in Leserbriefen geführt. Die Standeskommission möchte diese Fragen beantworten, damit sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in Kenntnis der Fakten ihre Meinung bilden können.
Gründe für den Projektstopp
Entgegen den Erwartungen sanken die Fallzahlen seit dem Landsgemeindeentscheid 2018 zum AVZ+ kontinuierlich und markant. Diese negative Entwicklung veranlasste die Standeskommission im Februar 2020 dazu, folgende Messkriterien festzulegen, die bis Ende 2020 erfüllt sein mussten, damit mit den Bauarbeiten des AVZ+ begonnen werden konnte:
- Die Corona-bereinigten Fallzahlen 2020 müssen mindestens gleich hoch sein wie diejenigen von 2019;
- Die Neuorganisation der Allgemeinen Inneren Medizin und des Notfalls zusammen mit dem Spitalverbund Appenzell Ausserrhoden (SVAR) muss etabliert sein und eine positive Entwicklung erkennen lassen.
Nachdem der SVAR am 6. November 2020 die Zusammenarbeit mit dem Spital Appenzell per Ende Juni 2021 gekündigt hatte, war eines der zwei Hauptkriterien nicht erfüllt, worauf die Standeskommission das Neubauprojekt stoppte. Zudem konnte auch das Kriterium «Fallzahlen» nicht erreicht werden.
Der SVAR befindet sich selbst in einer schwierigen Situation und muss sich auf seine eigenen Spitalbetriebe konzentrieren. Bereits vor der Kooperation mit dem SVAR musste die Standeskommission feststellen, dass ohne medizinischen Partner der Betrieb einer stationären Abteilung am Spital Appenzell nicht mehr möglich ist. Mit Blick auf die St.Galler Spitallandschaft, in welcher zur selben Zeit mehrere Spitalschliessungen beschlossen wurden, erachtete die Standeskommission ein Ausweichen auf einen anderen Kooperationspartner als den SVAR als nicht realistisch. Private Anbieter kamen für die Standeskommission aus Risikoüberlegungen als Betreiber für das AVZ+ nicht in Frage.
Notfallangebot sichergestellt
Nach dem Wegfall des stationären Angebots Ende Juni 2021 ist die Weiterführung des Notfalls in der heutigen Form nicht mehr möglich. Das Notfallangebot ruht neu auf folgenden Säulen: Der IVR-zertifizierte Rettungsdienst stellt eine professionelle Notfallversorgung rund um die Uhr sicher. Zusätzlich sind kompetent ausgebildete Ersthelferinnen und Ersthelfer (sogenannte Responder) im Einsatz. Für die Versorgung der Notfallpatientinnen und Notfallpatienten steht tagsüber weiterhin der hausärztliche Notfalldienst und die Notfall-Anlaufstelle der Appenzellischen Ärztegesellschaft im Spital Herisau zur Verfügung. Ferner existiert eine telefonische Anlaufstelle, welche für Notfälle, Triage und Beratung rund um die Uhr erreichbar ist.
Weiteres Angebot ab dem 1. Juli 2021
Die Standeskommission hat den Verwaltungsrat und die Spitalleitung beauftragt, das medizinische Angebot ab Juli 2021 am Standort Appenzell rasch zu konkretisieren. Diese Arbeiten werden mit Hochdruck vorangetrieben. Dabei gilt als oberstes Ziel: Die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung im Kanton ist weiterhin auf hohem Niveau sicherzustellen. Folgende medizinischen Dienstleistungen werden auch nach dem 1. Juli 2021 im Gesundheitszentrum Appenzell angeboten:
- Ein Rettungsstützpunkt.
- Ein ambulantes Versorgungszentrum AVZ. Dieses fasst alle ambulanten Angebote zusammen, die bisher am Spital Appenzell angeboten wurden. Ziel ist es, das bestehende Angebot zu festigen und auszubauen.
- Die heutige Gemeinschaftspraxis bleibt bestehen.
- Eine telefonische Anlaufstelle für Notfälle und Beratung.
- Neu wird ein Angebot entwickelt und aufgebaut für Menschen, die während eines definierten Zeitraums auf eine individuelle, situationsgerechte Pflege und Therapie angewiesen sind. Dieses Angebot spricht Personen an, die eine 24 Stunden-Pflege, aber keine ständige Anwesenheit des ärztlichen Diensts benötigen. Die Hausärztinnen und Hausärzte sind bereit, die medizinische Betreuung für ihre Patientinnen und Patienten zu übernehmen. Das Angebot stellt den Übergang in weitere Betreuungsformen sicher oder erleichtert die Rückkehr nach Hause.
Finanzielle Situation des Spitals Appenzell
Die sinkenden Fallzahlen von 1’016 im Jahr 2017 auf 743 im Jahr 2020 im stationären Bereich haben dazu geführt, dass die Einnahmen des Spitals weiter rückläufig sind. Das Defizit betrug 2017 Fr. 964'000.-- und stieg bis 2020 auf Fr. 3.3 Mio. an. Auch wenn das Ergebnis von 2020 vom coronabedingten Operationsverbot der Monate März und April negativ beeinflusst wurde, ist ein klarer Trend feststellbar. Die Planerfolgsrechnung im Landsgemeindemandat 2018 ging von einem Betriebsdefizit von Fr. 555'000.-- im Jahr 2020 aus.
Bereits jetzt steht fest, dass auch ein ambulantes Versorgungszentrum und das neue pflegerisch-therapeutische Angebot nicht kostendeckend betrieben werden kann. Die Standeskommission erachtet es aber als wichtig, dass auch inskünftig ein bedarfsgerechtes und wohnortsnahes Angebot erhalten bleibt. Aktuell werden für verschiedene Projekte verbesserte Finanzierungsmöglichkeiten geprüft.
Fazit
Mit dem Projektstopp des Bauprojekts AVZ+ hat die Standeskommission aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen ihre Verantwortung wahrgenommen. Es war für die Regierung aber immer klar, dass das letzte Wort dazu das Stimmvolk an der Landsgemeinde haben soll. Die Standeskommission sieht keinen Grund, von ihrer Empfehlung zum Baustopp vom November 2020 abzuweichen. Sie hat die Situation sorgfältig geprüft und ist einstimmig zum Schluss gekommen, dass ein Neubauprojekt mit einer akut-stationären Abteilung unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht sinnvoll und verantwortbar ist. Ohne Partner ist der Betrieb eines neuen Spitals nicht möglich, da die geforderten medizinischen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt werden können. Gleichzeitig sind die sinkenden Fallzahlen von rund 25% innerhalb der letzten 3 Jahre wirtschaftlich nicht mehr tragbar, zumal davon auszugehen ist, dass dieser Trend aufgrund der gesundheitspolitischen Bestrebungen - ambulant vor stationär - noch weiter anhält.